OLG Suttgart  - Motorraddreise - tödlicher Unfall - Urt. v. 10.11.2023 - 3 U 23-23 

Bartl, Harald, 

Oberlandesgereicht Stuttgart weist Klage gegen Veranstalter und Reiseleiter ab

Einen tragisch endenden Fall hatte das OLG Stuttgart zu entscheiden. Auf einer Motorradreise wurde ein Reisender schwer verletzt und verstarb. Der Reisende war mit seiner Bugatti auf die Gegenfahrbahn geraten und stürzte einen Abhang hinunter. Es entstanden Heilbehandlungskosten von insgesamt 112.164,09 EUR, die die Versicherung erstattete und nun gegen  Veranstalter und Reiseleiter – allerdings erfolglos – einklagte. In dem Urteil des OLG wird die gesamte Palette der möglichen Haftung aus dem Reisevertrag und unerlaubter Handlung auf vielen Seiten abgehandelt. Das Urteil sollten alle Veranstalter und Reiseleiter zur Kenntnis nehmen und zum Gegenstand ihrer Schulungen machen – nicht um zu verunsichern, sondern die Sinne zu schärfen für die Werbung und Reisebeschreibungen, die Aufklärungs- und Obhutspflichten vor und während der Reise und die Beweissicherung bei Unfällen.

Im Fall der geführte Motorradreise wurden alle diese Punkte vom OLG abhandelt und nichts ausgelassen (Haftung für Reisemängel, Verletzung von Aufklärungs-, Obhuts und Sorgfaltspflichten nach dem Reisevertragsrecht und §§ 823 f BGB). Abgesehen hiervon führte der Fall auch von der Staatsanwalt durchgeführten strafrechtlichen Verfahren, das allerdings eingestellt wurde.

Zivilrechtlich geht in diesen Fällen vor allem dann weiter, wenn Versicherungen betroffen sind, auf die Ansprüche gegen Veranstalter und Reiseleiter nach dem Versicherungsvertragsgesetz übergehen. Aber nicht nur dann, sondern in allen Fällen, in denen Reisende zu Schaden gekommen sind. Vielfach geht es auch um Verschulden bzw. Mitverschulden des Reisenden insbesondere durch selbstverschuldete Selbstgefährdung.

Auf den ersten Blick lag die Lösung aus der Sicht des Laien auf der Hand: Wenn bei einer Motoradreise ein Motorradfahrer mit „großen“ Motorradführerschein infolge überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve fliegt, wird wohl jeder schnell zu dem Schluss gelangen: Dieser Reisende ist selbst schuld. Juristen versuchen natürlich die Schuld Veranstalters und des Reiseleiters zu begründen. Das ist ihnen im entschiedenen Fall weder in der ersten, noch in der zweiten Instanz vor dem OLG gelungen, zeigt aber, dass die „rechtliche Mühle“ bei der in der Reisezeit vom 15.09.2019 - 22.09.2019 erst mit einem Urteil vom 19.11.2023 – also nach mehr als drei Jahre - zu Ende sein kann, was auch noch länger dauern, wenn der Bundesgerichtshof angerufen wird. Dass es auch andere Entscheidungen geben kann, zeigen die Urteile des BGH vom 12.03.2002 – X ZR 226/99 [Heliskiing}, vom 29.11.1977 - VI ZR 51/76; vom 21.01.1986 – VI ZR 208 [„Herausforderung durch  Veranstalter“], vom 06.12.2016 – X ZR 117/15 [Hoteltransfer]; vom 14.12.1999 – X ZR 122/97 [Pferdetritt]).

Und zuletzt: Ohne eine Veranstalterversicherung würde ein solcher Fall zum Existenzende, Insolvenz sowie persönlicher strafrechtlicher Inanspruchnahme führen.

Die Entscheidung kann im Internet abgerufen werden: OLG Stuttgart Urt. v. 10.11.2023 - 3 U 23-23 – Reiseleiter – keine Haftung eines Reiseveranstalters sowie eines Tourguides für einen tödlichen Motorradunfall während einer Motorradreise in Kroatien (Geschädigter kam in die Gegenfahrbahn hinein, kam nach links von der Fahrbahn ab und stürzte einen Abhang hinunter. Dabei zog der Geschädigte sich schwerste Verletzungen zu, an denen er am 02.01.2020 im Therapiezentrum Burgau verstarb.) - § 651a Abs 1 S 1 BGB, § 651i Abs 2 S 2 Nr 2 BGB, § 651i Abs 3 Nr 7 BGB, § 651n Abs 3 BGB, § 86 Abs 1 S 1 VVG

Löw, Sebastian, Reiserücktritt – ersatzloser Entfall unangemessener Stornogebühren?, NJW 2023, 2287

BGH - weitere Covid 19-Entscheidungen 

ausgewählte  Covid19-Pandemieentscheidungen

neu Löw, Sebastian, Reiserücktritt – ersatzloser Entfall unangemessener Stornogebühren?, NJW 2023, 2287

BGH, Urt. v. 19.09.2023 - X ZR 103-22 kein Anspruch auf Anzahlungserstattung nach Rücktritt einer Pauschalreise wegen Covid-Gefährdung - Anmerkung Prof. Dr. Harald Bartl

Ein Kunde hat grundsätzlichen keinen Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Anzahlung gegenüber dem Reiseveranstalter nach erfolgtem Rücktritt von einer Pauschalreise aufgrund einer Covid-Gefährdung, wenn der Reiseveranstalter wirksam nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB mit einem durch die Stornierung der Reise verursachten Entschädigungsanspruchs aufrechnen kann. Im Rahmen der Beurteilung, ob unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass die Durchführung der Pauschalreise nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB erheblich beeinträchtigt ist, kann es maßgebend sein, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits vorlagen oder aber zumindest absehbar waren. Eine solche Beeinträchtigung war vorliegend zu verneinen, da die Buchung des betreffenden Kunden nach Pandemiebeginn erfolgte und er damit die absehbaren Einschränkungen am Reiseziel in Kauf nahm. Einem Reisenden, der eine Reisebuchung vornimmt, obwohl Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Reisedurchführung zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte, ist der Reiseantritt regelmäßig zuzumuten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen.

BGH, Urt. v. 30. August 2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21 

Beschluss vom 30. August 2022 – X ZR 3/22

Zum Rücktritt von vorgesehenen Pauschalreisen wegen Covid 19

BGH Urt. v.  August 2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21 

BGH, Beschl. v. 30. August 2022 – X ZR 3/22 

Der unter anderem für Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über Ansprüche auf Rückzahlung des Reisepreises nach Rücktritt von Pauschalreiseverträgen wegen Covid 19 entschieden.

Sachverhalt:

In den drei Verfahren nimmt die jeweilige Klagepartei die jeweilige Beklagte auf Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten ist.

Im Verfahren X ZR 66/21 buchte die Klägerin im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 Euro. Die Klägerin trat am 7. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Beklagte berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 Euro (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Klägerin bezahlte diesen Betrag nicht. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.

Im Verfahren X ZR 84/21 buchte der Kläger im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 5. bis 17. Juli 2020 für 3.541 Euro. Der Kläger trat am 3. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 886 Euro (25 % des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des Klägers um weitere 177 Euro. Das vom Kläger gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen.

Im Verfahren X ZR 3/22 buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. August 2020 für 8.305,10 Euro. Der Kläger trat am 31. März 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10. Juli 2020 abgesagt.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg.

Im ersten Verfahren sind das Amtsgericht und das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen.

Im zweiten Verfahren hat das Landgericht einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das vom Kläger gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kläger ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können.

Im dritten Verfahren haben die Vorinstanzen offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

In den drei Verfahren kam es zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Die Begründetheit der Klagen hing in allen drei Verfahren davon ab, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würde. Sie kann vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordert regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden.

Im ersten Verfahren blieb die Revision erfolglos.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.

Das Berufungsgericht ist im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerfrei bewertet.

Das Berufungsgericht hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Klägerin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise hat es auch auf das Alter der Klägerin Bezug genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise verändert.

Im zweiten Verfahren führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Vortrag des Klägers zu der durch Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage in Europa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zulassen, weil daraus nicht hervorgeht, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.

Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ergibt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht daraus, dass das vom Kläger gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar kann die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begründet aber nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB. Ob eine solche Beeinträchtigung gegeben ist, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine solche Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat das Landgericht im Streitfall unterlassen. Der Senat kann diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.

Das dritte Verfahren hat der Bundesgerichtshof entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-477/22 (X ZR 53/21, Pressemitteilungen Nr. 085/2022 und Nr. 118/2022) ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union bereits vorliegenden Frage ab.